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Innovation und Wagemut schafft Helden. Geistloses Festhalten an althergebrachten Regeln schafft nur Politiker.
Graf Hundro Moritani
Am Abend nach der Prüfung im Korridor des Todes saßen die Schwertmeister zusammen mit den 43 überlebenden Schülern der ursprünglich 150 Köpfe starken Klasse in einem großen Speisezelt. Jetzt wurden sie nicht mehr wie Schüler, sondern als Kollegen behandelt, die sich endlich den Respekt und die Kameradschaft von großen Kämpfern verdient hatten.
Doch um welchen Preis ...?
Kaltes Gewürzbier wurde in hohen Krügen serviert. Vorspeisen von anderen Welten waren auf Porzellantellern ausgebreitet. Die alten Lehrer gingen stolz zwischen den abgekämpften Prüflingen umher, die sie acht Jahre lang ausgebildet hatten. Duncan Idaho hatte den Eindruck, dass in der festlichen Stimmung ein Hauch von Hysterie mitschwang. Einige der jungen Männer saßen schockiert und fast reglos da, während andere sich wahllos vollstopften und betranken.
In einer knappen Woche würden sie sich gemeinsam vor den Verwaltungsgebäuden der Hauptinsel einfinden, wo ihnen eine weitere Runde mündlicher Prüfungen bevorstand, ein formeller Test des intellektuellen Wissens, das sie von den Schwertmeistern erworben hatten. Doch nach dem tödlichen Hindernisparcours kam ihnen die Beantwortung einiger Fragen wie ein Kinderspiel vor.
Von der aufgestauten Anspannung erlöst tranken Duncan und Resser viel zu viel. In den Jahren der harten Ausbildung hatten sie nur dürftige Mahlzeiten zu sich genommen, damit sie abgehärtet wurden. Und Alkohol vertrugen sie gar nicht mehr. Das Gewürzbier setzte ihnen schwer zu.
Duncan spürte, wie er immer rührseliger wurde, als er sich an die Kämpfe, die Schmerzen und all die getöteten Mitschüler erinnerte. Welche Verschwendung ...
Resser war im Siegestaumel und in Feierlaune. Er wusste, dass sein Adoptivvater fest mit seinem Versagen gerechnet hatte. Nach der Trennung von seinen Grumman-Mitschülern und seiner Weigerung, die Ausbildung abzubrechen, hatte der Rotschopf genauso viele psychologische wie handfeste Kämpfe gewonnen.
Die gelben Monde waren längst über den Himmel gezogen und hatten eine Spur funkelnder Sterne hinterlassen, als sich die Runde auflöste. Die vernarbten, leicht verletzten und betrunkenen Schüler zogen sich einer nach dem anderen zurück und stellten sich dem Kampf gegen den bevorstehenden Kater. In den Hütten gingen Geschirr und Gläser zu Bruch; es gab nichts mehr zu essen oder zu trinken.
Hiih Resser wankte barfuß an Duncans Seite in die Dunkelheit der Insel, vom großen Haus zur Gruppe der Unterkünfte, die ein Stück weiter am breiten weißen Strand lag. Auf dem unebenen Boden waren ihre Schritte nicht sehr sicher.
Duncan legte seinem Freund die Hand auf die Schulter – nicht nur in brüderlicher Geste, sondern auch, um sein Gleichgewicht zu wahren. Er verstand einfach nicht, wie der hünenhafte Schwertmeister Rivvy Dinari es schaffte, so elegant zu laufen.
»Wenn das alles vorbei ist – kommst du dann mit mir nach Caladan?« Duncan bemühte sich, seine Worte sorgfältig zu wählen. »Du weißt doch, das Haus Atreides würde zwei Schwertmeister mit Handkuss nehmen, wenn Moritani dich nicht will.«
»Das Haus Moritani will mich ganz bestimmt nicht mehr, nachdem Trin Kronos und die anderen die Schule verlassen haben«, sagte Resser. Duncan bemerkte Tränen in den Augen seines Freundes.
»Seltsam«, sagte Duncan. »Sie hätten an diesem Abend mit uns feiern können, aber sie haben eine andere Wahl getroffen.« Sie gingen den Abhang zum Strand hinunter. Die Schlafhütten schienen noch sehr weit entfernt und waren nur undeutlich zu erkennen.
»Trotzdem muss ich zurückkehren, um vor meine Familie zu treten und ihr zu zeigen, was ich erreicht habe.«
»Angesichts dessen, was ich über Graf Moritani weiß, klingt das sehr gefährlich. Selbstmörderisch.«
»Trotzdem muss ich es tun.« Im Schatten drehte er sich zu Duncan um. Seine düstere Stimmung verflog. »Anschließend werde ich um eine Audienz bei Herzog Atreides ersuchen.«
Duncan und er wankten durch die Dunkelheit und strengten ihre Augen an, um etwas von der Umgebung zu erkennen. »Wo sind nur die verdammten Hütten?« Dann hörten sie Stimmen und Kampfgeräusche. Duncans getrübter Geist gab Alarm, doch viel zu langsam, um rechtzeitig reagieren zu können.
»Ah, es sind Resser und Idaho.« Grelles Licht stach wie glühende Eiszapfen in ihre Augen, und Duncan hob die Hand. »Schnappt sie euch!«
Überrascht und orientierungslos stießen Duncan und Resser gegeneinander, als sie versuchten, eine sinnvolle Kampfposition einzunehmen. Aus dem Hinterhalt fiel eine Gruppe dunkel gekleideter und nicht identifizierbarer Krieger über sie her, die mit Stöcken und Knüppeln bewaffnet war. Duncan rief sich die Techniken ins Gedächtnis, die er auf Ginaz gelernt hatte, und verteidigte sich an der Seite seines Freundes. Anfangs fragte er sich, ob es sich um eine Art zusätzliche Prüfung handelte, eine letzte Überraschung der Schwertmeister, nachdem sie ihre Schüler durch die Feier in Sicherheit gewiegt hatten.
Dann sah er eine scharfe Klinge, die ihm eine lange, aber nicht sehr tiefe Wunde in der Schulter zufügte. Jetzt verlor er jede Zurückhaltung. Resser schrie – nicht vor Schmerz, sondern vor Wut. Duncan schlug mit Fäusten und Füßen um sich. Er hörte das Knacken eines gebrochenen Arms und spürte, wie sein Zehennagel eine Kehle aufschlitzte.
Doch die Masse der Gegner bearbeitete Duncans Kopf und Schultern mit Betäubungsstäben, und ein Angreifer traf seinen Hinterkopf mit einer altertümlichen Keule. Ächzend ging Resser zu Boden, während sich vier Männer auf ihn stürzten.
Obwohl er betrunken war und viel zu träge reagierte, versuchte Duncan, seine Widersacher abzuschütteln und seinem Kameraden zu helfen. Doch die Betäubungsstäbe setzten ihn schließlich außer Gefecht, und in seinem Geist breitete sich Finsternis aus ...
* * *
Als er wieder zu Bewusstsein kam, spürte er zuerst einen übel schmeckenden Knebel im Mund. Dann sah Duncan eine Barkasse, die in der Nähe auf dem Strand lag. Weiter draußen bewegte sich der dunkle, schattenhafte Umriss eines deutlich größeren Schiffs in den Wellen. Seine Entführer warfen ihn ohne viel Federlesens in das Beiboot. Neben ihm schlug die erschlaffte Gestalt Hiih Ressers auf die Planken.
»Versuche nicht, dich aus den Shigadrahtfesseln zu befreien – es sei denn, du kannst auf deine Arme verzichten«, knurrte eine tiefe Stimme an seinem Ohr. Er spürte, wie die Drähte in seine Haut schnitten.
Duncan biss die Zähne zusammen, um sich vom Knebel zu befreien. Auf dem Strand sah er große Blutflecken und zerstörte Waffen, die von der hereinkommenden Flut erfasst wurden. Die Angreifer luden elf Männer in die schlanke Barkasse. Sie waren in Tücher gehüllt und offensichtlich tot. Also hatten Resser und er gut gekämpft, wie wahre Schwertmeister. Vielleicht waren sie nicht die einzigen lebenden Gefangenen.
Die dunklen Gestalten stießen Duncan in einen engen Raum unter Deck, in dem es furchtbar stank. Dort prallte er gegen andere gefesselte Männer – einige seiner Mitschüler. Trotz der Dunkelheit sah er Angst und Zorn in ihren Augen. Viele waren verletzt. Die schlimmsten Wunden waren mit zerrissenen Textilfetzen verbunden worden.
Mit einem leisen Stöhnen erwachte Resser neben ihm. Am Funkeln in den Augen seines Freundes erkannte Duncan, dass der Rotschopf zu einer schnellen Einschätzung der Situation gelangte. Sie hatten den gleichen Gedanken und rollten sich auf den Bodenplanken herum, bis sie Rücken an Rücken lagen. Mit tauben Finger hantierten sie an den Fesseln des anderen, um sich zu befreien. Einer ihrer unkenntlichen Bewacher fluchte und trennte sie durch einen Fußtritt.
Im Bugbereich der Barkasse unterhielten sich Männer – leise, aber mit deutlichem Akzent. Grummaner. Resser wehrte sich weiterhin gegen seine Fesseln, was ihm einen erneuten Fußtritt einbrachte. Der Motor wurde mit einem leisen Surren gestartet, und das kleine Boot machte sich auf den Weg durch die Wellen.
Das ominöse dunkle Schiff weiter draußen wartete auf sie.